sind schon lange ein Thema in meinem Blog, denn 2012 entdeckte ich durch die Hinweise von Dr. Haupt, dass es dazu seit einiger Zeit schon Studien und Publikationen aus dem Bereich der Neurobiologie bzw. Neurowissenschaft gibt. Mein inneres Coming out war da schon geschehen (Fasching 2011) und das erste Coming out gegenüber meiner Frau ebenso (November 2011). Ich schreibe das deshalb hier, weil ich mir unabhängig von dem, was ich ab 2012 entdeckte, mich outete und sowohl meine Ehe wie auch meinen Beruf riskierte, aber mein innerer Leidensdruck, meine Diskrepanz zwischen dem, was ich an mir sah und dem, wie ich mich als Frau wahrgenommen hatte, war extrem. D.h. unabhängig von irgendwelchen neurobiologischen Publikationen traf ich 2011 die Entscheidung, mich auf den Weg einer Geschlechtsangleichung zu machen.
Die erste Frage war dabei: Wie schaffe ich es, meine Ehe evtl. „zu retten“. Dazu fand ich eine erste Hilfe im Realo Forum. Aber nun zum Thema Neuroforschung: Das, was ich da entdeckte, war letztlich ein weiteres Puzzleteil, das mir half, mich auszudrücken und das, was ich erlebte, in Worte zu fassen um mich anderen Menschen gegenüber verständlicher zu machen. Zumindest bei denen, die das interessierte war der neurobiologische Ansatz dabei sehr hilfreich (z.B. mein damaliger Dekan in Landshut wie auch die Landshuter Zeitung).
Nun bekam ich dazu einige Fragen gestellt, auf die ich hier eingehen will:
1. Gibt es dazu auch deutsche Literatur?
Die meisten internationalen Fachaufsätze sind in englischer Sprache publiziert und wer bei pubmed recherchieren will, kommt um entsprechende Sprachkenntnisse nicht herum. Aber es gibt auch ein paar Publikationen, in denen in deutscher Sprache die Thematik beschrieben wird, auch wenn ich nicht sehr viele kenne und mich über weitere Hinweise via Kommentarfunktion freue!
An Büchern fallen mir vor allem ein:
– Das Geschlecht in mir, Hg. Gerhard Schreiber; deGruyter Verlag, 2019; darin sind die zentralen Aufsätze des Buchs „Transsexualität in Theologie und Neurowissenschaften“ von 2016 in deutscher Sprache übersetzt enthalten – vor allem die aus dem engeren Bereich der Neuroforschung;
– Transsexualität in Theologie und Neurowissenschaften; Hg. Gerhard Schreiber (dort sind leider nicht alle Aufsätze in deutscher Sprache, dafür aber ingesamt eine noch breitere Übersicht zum Thema) (deGruyter 2016)
– Das Gehirn und die innere Welt, Mark Solms und Oliver Turnbull (1. Auflage 2004) – antiquarisch online erhältlich;
Dann gibt es die Broschüre „Zum Bilde Gottes geschaffen – Transsexualität in der Kirche“ (kostenfrei als .pdf bei der EKHN downloadbar oder bestellbar, auch in polnischer und portugisiescher Sprache erhältlich). Auch dort beschäftigt sich ein Abschnitt mit der Neuroforschung und der Leiblichkeit.
Und vor kurzem erst entdeckte ich eine Dissertation von Andreas Josef Kugel in deutscher Sprache, die sich mit dem Thema Phantomschmerzen, Phantomkörperwahrnehmung und Neuroplastizität beschäftigt. Diese Dissertation ist deshalb so hilfreich, weil sie auch auf die Frage eingeht, ob durch das Phänomen der „Neuroplastizität“ evtl. die bisherige Forschung in Frage gestellt wird. Darauf werde ich gleich ausführlicher eingehen. Zunächst aber: Was neuronal vorgeburtlich fest verankert ist, unterliegt nicht der sogenannten „Neuroplastizität“, d.h. wer eine Phantompeniswahrnehmung hat, bei dem ändert sich durch chirurgische Maßnahmen solange nichts, bis eine entsprechende gute Penoid-Prothese die Phantomschmerzen abbaut – aber derjenige nimmt sich eben auf Grund der von Ramachandran beschriebenen Phantomkörperwahrnehmungen als Mann wahr, selbst wenn er mit einer Vagina geboren wurde.
Mit dem Phänomen der Neuroplastizität beschreibt man im Prinzip die Wandlungsfähigkeit und Reparaturfähigkeit des menschlichen Gehirns. Sogar nach einem Schlaganfall, in dem viele Zellen im Gehirn betroffen sind, kann sich durch Reha etc… vieles an Fähigkeiten wieder regenerieren. Und durch Übung kann vieles trainiert werden, sofern es einmal neuronal im Cortex angelegt war. Dazu ein Zitat: „Im sensomotorischen Cortex, dem Teil der Gehirnrinde, der für das Fühlen zuständig ist, sind alle Körperregionen und Körperteile abgebildet. Daran verändert auch eine Amputation nichts.“ (Quelle: https://t1p.de/ghvgn eingesehen am 26.11.2022) Wenn also im sensomotorischen Kortex vorgeburtlich das Körperteil „Penis“ angelegt ist, obwohl auf Grund einer Variante der Geschlechtsentwicklung keiner sich entwickelte (oder er auf Grund eines Unfalls verloren ging), ist eine dauerhafte geschlechtsleibliche Diskrepanzerfahrung vorhanden, die so massiv sein kann, dass erst durch einen Penisaufbau (im Artikel ist von Prothesen die Rede) der Phantomschmerz verschwindet. Gleiches gilt für Phantombrustwahrnehmungen im Blick auf die Wirkungen der Hormontherapie usw…. Dazu zwei Zitate aus der Dissertation von Andreas Josef Kugel mit dem Titel „Inzidenz neuropathischer Schmerzen nach Orchidektomie und geschlechtsangleichender Operation“ (Tübingen 2020, S.61-66): „Weil die von uns untersuchten transsexuellen Frauen im Vergleich zu den orchidektomierten Patienten keine Phantomschmerzen im Hodenbereich hatten, muss somit nach dem Verständnis der oben zitierten bisherigen Untersuchungen das Repräsentationsareal der abgelehnten Geschlechtsorgane entweder nicht vorhanden oder sehr klein sein. Das bedeutet, dass Reorganisationsvorgänge kaum stattfinden können.“ (es gibt also keine Neuroplastizität im Blick auf die neuronal nicht angelegten Körperteile).
Und: „Umgekehrt könnten diese Frauen eine weibliche Phantombrust verspüren oder transsexuelle Männer einen Phantompenis schon vor der jeweiligen operativen Geschlechtsangleichung wahrnehmen, wenn die Repräsentanz funktionell oder epigenetisch veränderlich ist.“
Oder einfacher ausgedrückt: Es gibt (wobei die Forschung noch nicht eindeutig ist, ob durch Gene, Epigenetik oder andere vorgeburtliche Einflüsse im Mutterleib) neuronale Veränderungen der „Körperlandkarte“, die den Betroffenen früher oder später deutlich machen wer sie im Blick auf ihr Geschlecht sind („Geschlechtsidentität“). Das geschieht unabhängig von der Gesellschaft oder Kultur und ist deshalb in verschiedenen Kulturen nachweisbar, ebenso wie zu unterschiedlichen Zeiten der menschlichen Geschichte.
Und noch etwas fällt auf: Wegen der neuronalen festen vorgeburtlichen Verankerung
* liegt ein „innerer Zwang“ vor, im „Gegengeschlecht“ leben zu müssen, wie es die Väter des TSG schon lange vor den Entdeckungen der Neurobiologen formulierten
* ist Transsexualität auch nicht therapierbar im Sinne einer reparativen Therapie. Es gibt ein trauriges Beispiel in der Medizingeschichte, wo ein entsprechend (nach heutiger Medizinethik absolut unethisches Experiment) von dem Psychiater John Money an David Reimer gemacht wurde (einfach via google zu finden). Es endete mit dem Suizid von D. Reimer.
Mit diesen Gedanken verabschiede ich das Jahr 2022 und wünsche allen Lesenden Gottes Segen für 2023!
Eure
Dorothea
Update 27.4.2024: Für diejenigen, die ein wenig englische Texte lesen können, gibt es hier eine schöne grafische Übersicht (Stand 2022) zum Thema „Geschlecht als Spektrum“.
Danke für den ausführlichen Artikel. Inzwischen wird in der Geschlechterforschung klarer, dass Geschlechteraspekte und -muster sich nicht vereinfachend erklären lassen. Geschlechteraspekte sind derart komplex, dass sie wenig anschaulich vor allem durch spez. Operationen, von künstlichen neuronalen Netzen auf mehrdimensionalen Datenfeldern, sog. Tensoren ausgeführt, erforscht werden können. Also mit AI-Werkzeugen wie TensorFlow. Es wird komplizierter, nicht einfacher erklärbar.
Unten nun Link, der ganz gut erläutert, was man mit TensorFlow in der Genderforschung so alles anstellen kann:
https://medium.com/swlh/gender-classifier-with-tensorflow-164b62a3557e